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#enttäuschung – Visualität und Kunst im Kontext der Pandemie
Beitrag von Prof. Dr. Andreas Brenne zum Jahresthema der Kunsthalle Osnabrück
Enttäuschung. – so lautet das Jahresthema der Kunsthalle Osnabrück (https://kunsthalle.osnabrueck.de/) und bezeichnet den kuratorischen Einstieg der neuen Leitung – Anna Jehle und Juliane Schickedanz – welche die Nachfolge von Julia Draganović Anfang 2020 antraten. Eine Ablösung mit Hindernissen, bewirkte doch die Pandemie einen Verlust an Sichtbarkeit, die für die Neujustierung einer Kunstinstitution nicht unproblematisch ist. Ist sie doch auf den unmittelbaren Kontakt zur kulturellen Peergroup einer Region angewiesen. Hinzu kam der Ausfall der zyklischen Präsentation internationaler Video- und Medienkunst im Rahmen des EMAF(European Media Art Festival) – ein traditionsreiches Kunstlabor. Durch diese Situation wurde unfreiwillig die Disposition der zeitgenössischen bildenden Kunst emblematisch beschrieben, die auch ohne Corona zwischen Präsenz und Virtualität oszilliert. Kunsterfahrung entwickelt sich in einem Spannungsfeld zwischen materiellen Konstellationen, narrativen Referenzen und einer rezeptiven Offenheit. Dieses dialektische Verhältnis bestimmt auch die Anforderungen an ein akademisches Ausbildungssystems, das sich – wie an der Universität Osnabrück - einer kunstbezogenen Kunstvermittlung verschrieben hat. Dabei ist die sensible Auseinandersetzung mit Materialität zwar konstitutiv, zielt aber auf ästhetische Erfahrungen ab, die erst in sozialen Kontexten ihr Potential entfalten. So entsteht ein relevanter Möglichkeitsraum, der eine produktive Entwicklung von Gesellschaft antizipiert. »Ohne Kultur wird’s still«, so heisst es zur Zeit an vielen Orten, vornehmlich in den sozialen Netzwerken, und problematisiert die mangelnde finanzielle Kompensation der durch die Pandemie bedingten Ausfälle auf dem Kultursektor. Dabei stellt sich die Frage, ob es hier um den Mangel an erbaulich-anspruchsvollen Unterhaltungsangeboten geht, die einem die Krise vergessen macht, oder um den Verlust an sozialräumlicher Wirkmächtigkeit, auf die eine offene Gesellschaft nicht verzichten kann. Diese Aspekte zu trennen ist nicht leicht und kennzeichnet die Doppelstruktur der Kunst – im Sinne Émile Durkheim ein autonomes Areal, das sozial konstruiert ist. Im Rahmen der Neueröffnung der Kunsthalle wurde dieser Zusammenhang offenkundig. War doch die kulturinteressierte Bevölkerung Osnabrücks mehr als gespannt, ob es etwas Neues zu sehen gab, und wie die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre fortgesetzt werden soll. Von Enttäuschung war zunächst keine Rede, denn nach einer Phase der radikalen Verlagerung der Kunst in die Digitalität, erstrahlten die ungewohnten Bilder in opulenter Präsenz – eine Kontrast zur Bildaskese der zurückliegenden Wochen (Nur ein Bruchteil der überbordenden und kostenfrei verfügbaren virtuellen Kulturangebote wird überhaupt genutzt). Es wurde deutlich, dass Kunst einen Beitrag zur sozialen Plastik im beuysschen Sinne leisten kann, wenn sie nur sozial situiert ist – es entstehen Erlebnisse von hoher Dichte. Doch wie nachhaltig sind diese Erfahrungen? Ist die Enttäuschung nicht vorprogrammiert, da das utopische Potential künstlerischer Setzungen nicht auf Dauer gestellt werden kann. Kunst ermöglicht perspektivische Verschiebungen, so dass Lösungen sichtbar werden. Die Umsetzung muss aber an anderer Stelle erfolgen. Dies mag »ent-täuschen«, kann aber enorm produktiv werden, wenn die soziale Wirklichkeit als gestaltbares Areal begriffen wird.
»(...) denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.« (Rainer Maria Rilke: Archaïscher Torso Apollos)